Produktionsraten in Meteoroiden

Die experimentelle Bestimmung von Produktionsraten kosmogener Radionuklide in Meteoriten ist seit einigen Jahrzehnten ein Forschungsschwerpunkt der „Meteoritik". Allgemein ist eine Produktionsrate definiert als die Zahl der Produktnuklide, die pro Massen- und Zeiteinheit in einem bestrahltem Objekt erzeugt werden. Die in Meteoriten bestimmten Werte können dann mit berechneten Produktionsraten basierend auf sog. Dünn- und Dicktargetexperimenten zur Rekonstruktion der Historie der Meteoriten verglichen werden. Grundsätzlich ist die Produktion eines Nuklides B von vielen Größen abhängig z.B. der Intensität des primären Flusses der Strahlung, der chemischen Zusammensetzung, Form und Größe des „Targets", Position der untersuchten Probe im „Target" und den Wirkungsquerschnitten der Kernreaktionen, die zum Produkt führen. Im Einzelnen haben die Parameter folgenden Einfluss:

Ein einfacher Dünntargetansatz beschreibt die Produktion P von B durch eine Kernreaktion. Die Zunahme der Teilchenzahl NB mit der Zeit ist proportional dem Fluss der einfallenden Teilchen a und der vorliegenden Targetatome NA. Die Wahrscheinlichkeit für das Ablaufen der Kernreaktion A(a,b)B wird durch die energieabhängige Größe wiedergegeben.

Da ein Großteil der kosmogenen Nuklide in einer komplexen Materie aus verschiedenen Targetelementen gebildet werden kann, muß die Bildung durch alle Elemente aufsummiert werden.

Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft eine Übersicht der Haupttargetelemente für die Produktion der in dieser Arbeit untersuchten kosmogenen Radionuklide. Der Dünntargetansatz berücksichtigt allerdings nicht die Emission von sekundären Teilchen durch Kernreaktionen primärer Teilchen und, dass diese Sekundärteilchen wiederum Kernreaktionen auslösen können. Eine Summierung aller Beiträge durch verschiedene Projektile a ist demnach erforderlich. Darüber hinaus wird der Fluss der primären Teilchen, aber insbesondere der Fluss und die Energie der sekundären Teilchen durch die chemische Zusammensetzung und die Geometrie (Radius R, Tiefe d) des Dicktargets (Meteoroid) verändert.

Haupttargetelemente zur Produktion kosmogener Radionuklide

Radionuklid

Haupttargetelemente

10Be

C N O Mg Al Si S Ca Fe Ni
26Al Na Mg Al Si S Ca Ti Fe Ni
36Cl Cl K Ca Ti Fe Ni
41Ca K Ar Ca Ti Fe Ni
53Mn Fe Ni
59Ni Fe Ni
60Fe Ni (Cu)


Die Integration über alle Energien liefert die endgültige fundamentale Gleichung für die quantitative Beschreibung von Produktionsraten in Meteoroiden und der Mondoberfläche:

Neben Lösungen nach semiempirischen Ansätzen [z.B. GRA90b] ist die Bestimmung der benötigten Parameter zur Lösung dieser Gleichung auf rein physikalischer Basis seit einigen Jahrzehnten ein Mittelpunkt der Kooperation der Abteilung Nuklearchemie der Universität zu Köln mit nationalen und internationalen Forschungsgruppen. So konnte z.B. die Datenbasis der Wirkungsquerschnitte der kosmochemisch relevanten protoneninduzierten Kernreaktionen auf ein akzeptables Niveau gebracht werden [MIC97]. Die chemische Analyse von extraterrestrischer Materie wurden mit gängigen instrumentellen Analyseverfahren bzw. der (R)NAA möglich und die Bestimmung der geometrieabhängigen differentiellen Flussdichten erfolgte über Monte-Carlo-Simulationen. Ein großes Problem bereitete aber lange Zeit die Abschätzung der durch sekundäre Neutronen produzierten Nuklide. Da es bis heute technisch nicht möglich ist, Neutronen mit entsprechend hoher Energie für Dünntargetexperimente zu produzieren, kann die mangelhafte bzw. für manche Nuklide vollständig fehlende Datenbasis nicht ausgebaut werden. Sogenannte Dicktargetexperimente, d.h. die Bestrahlung von sphärischen „künstlichen Meteoriten", schafften einen Ausweg aus diesem Dilemma. Die isotrope Bestrahlung von mehreren Steinkugeln diverser Größen [MIC85,MIC89,MIC93] und einer Eisenkugel [LEY97] mit Protonen simulierte typische GCR-Bestrahlungsbedingungen (t, E). Die Berechnung des Anteils der durch Neutronen produzierten Nuklide konnte daraufhin durch die Analyse der in den Kugeln bestrahlten Reinstelementfolien und Verbindungen unter Zuhilfenahme von Monte-Carlo-Rechnungen erfolgen. Eine Abschätzung von Neutronenanregungsfunktionen war auf diesem Wege ebenfalls möglich. Die Relevanz dieser Experimente ist exemplarisch in folgender Abbildung zu sehen.

Anhand des Beispiels 53Mn wird klar, dass schon für geringe Tiefen die Produktion durch sekundäre Teilchen, und hier insbesondere durch Neutronen, den Hauptteil der Gesamtproduktion ausmacht. Bei anderen Nukliden ist der Einfluss der Neutronen je nachdem ob es sich in erster Linie um Hoch-, Mittel- oder Niederenergieprodukte handelt mehr oder weniger stark ausgeprägt. Die Berücksichtigung des Neutronenanteils ist jedoch für die Produktionsraten aller kosmogenen Nuklide unbedingt erforderlich. Informationen zur Bestimmung der Modulationsparameter der GCR (s. Galaktische kosmische Strahlung) aus diesen Experimenten und weitere Einzelheiten zur Berechnung von Produktionsraten sind in der Dissertation von Leya [LEY97] zu finden. Als Übersicht über den Status und die momentane Qualität der Modellrechnungen ist [MIC96] zu empfehlen.

Um die in voriger Abbildung dargestellten Produktionsraten, welche auf eine GCR-Flussdichte von 1,0 cm-2s-1 normiert sind, in „echte" Produktionsraten umzuwandeln, benötigt man Informationen über die GCR-Flussdichte, denen die Meteoroide auf ihrer Umlaufbahn ausgesetzt sind. Diese Information kann prinzipiell den experimentell bestimmten sog. Sättigungsproduktionsraten in Meteoriten entnommen werden, ist allerdings eine Funktion der verwendeten Modulationsparameter. So wurde z.B. von Reedy und Masarik die galaktische Teilchenflussdichte der primären Protonen auf 3,0 cm-2s-1 [REE94] bestimmt, wohingegen die Köln-Hannover-Kollaboration einen Wert von 3,71 cm-2s-1 [MIC91] ermittelte. Im Rahmen der fortschreitenden Qualität und Quantität der erforderlichen Daten, konnte Leya - mit M = 620 MeV und einer Anpassung an das 26Al-Tiefenprofil des L-Chondriten Knyhahinya [GRA90] - J0,pp zu 2,62 cm-2s-1 [LEY97] bestimmen. Dieser Wert spiegelt natürlich nur den Anteil der primären Protonen wieder, unter der Berücksichtigung der 12 % -Teilchen in der GCR, muß dieser Wert um den Faktor 1,552 korrigiert werden. Die primäre Flussdichte der GCR ergibt sich demnach zu J0,GCR = 4,06 cm-2s-1.

Ein direkter Vergleich der berechneten tiefen- und radiusabhängigen Produktionsraten mit in Meteoriten gemessen Konzentrationen kosmogener Radionuklide ist unter dem Vorbehalt möglich, dass es sich bei den gemessenen Werten auch tatsächlich um Sättigungsproduktionsraten handelt. Für stabile Isotope ergibt sich der Zusammenhang zwischen gemessener Konzentration und der Produktionsrate durch einen linearen Zusammenhang mit der Bestrahlungszeit. Für radioaktive Isotope muß dahingegen für die Bildung eines Produktnuklids auch sein radioaktiver Zerfall berücksichtigt werden. Demnach ist kein lineares Ansteigen zu erwarten, sondern die Bildungsgleichung wird wie folgt erweitert:

Nach einer zuerst stetigen Zunahme des Produktnuklids, wird ein Gleichgewicht zwischen Bildung und Zerfall erreicht. Diese Sättigung ist praktisch nach sieben Halbwertszeiten erreicht (Abbildung) Der direkte Vergleich zwischen Modellrechnungen und experimentell bestimmten Aktivitäten ist demnach nur legitim, wenn für die analysierten Radionuklide Sättigung erreicht wurde oder indirekt die Untersättigung berücksichtigt wird. Für Meteoritenfunde muß außerdem sichergestellt sein, dass durch ein hohes terrestrisches Alter die Radioaktivitäten nicht vermindert sind. Vice versa kann der Vergleich natürlich kurze Bestrahlungsalter bzw. hohe terrestrische Alter aufdecken. Zudem ist eine eventuell vorhandene Produktion der Radionuklide durch SCR zu erkennen.

 

  Last modified 19.07.2002     With comments or questions on this homepage please mail to webmaster 'at' meteoroids.de